Mittwoch, 11. November 2015

"was hend ihr s Gfühl, eui Meinig isch relevant?"

Im gestrigen, 10. November 2015, Medien Club wurde anfangs wild über die Kommentarfunktion auf Onlinemedien diskutiert. 

Teilgenommen haben: Pedro Lenz (Journalist und Autor), Peter Röthlisberger (Chefredaktor Blick am Abend), Hansi Voigt (Gründer und CEO Watson) und Monica Fahmy (ehem. Journalistin).

Die zentrale Frage war, wie Medien mit der Flut an Kommentaren, welche sie zu Artikeln erhalten, behandeln sollen und wie weit die Grenzen der freien Meinungsäusserung gehen.

Beim Blick am Abend werden alle eingehenden Kommentare durch eine Software geschleust und anhand von Keywörtern schon mal 30% aller Kommentare rausgefiltert. Die übrigen Kommentare werden persönlich vom Community Manager kontrolliert und nochmals etwa die Hälfte ausgesondert. Alles was rassistisch, sexistisch, homophob oder gewaltverherrlichend ist, wird nicht toleriert. Auch Morddrohungen werden sofort gelöscht. 
Trotzdem ist der Chefredaktor der Meinung, dass sie nicht zuständig sind, den Menschen einen Maulkorb zu verpassen. Schliesslich gelte in der Schweiz das Recht der freien Meinungsäusserung. Er wolle den Lesern nicht vorschreiben, was gesagt werden darf, und was nicht. Sie seien keine Moralapostel. 
Sofort übernimmt Pedro Lenz das Wort und beschreibt die Situation wie an einem Stammtisch: Früher hätte man in der Dorfkneipe gesessen und face-to-face über ein Thema diskutiert. Wenn einer eine blöde Aussage machte, konnte direkt darauf eingegangen werden, diskutiert und danach wieder vergessen werden. Kommentare im Internet bleiben für immer. Auch wenn Kommentare gelöscht werden, hätte man keinen Überblick wer bereits einen Screenshot gemacht hat und es weiterverbreitet hat. Ausserdem beschwert er sich darüber, was die Leute das Gefühl hätten, ihre Meinung sei relevant. Er versteht es nicht, dass wenn es irgendwo in Amerika einen Drogentoten gibt, einer aus Oerlikon meint er müsse etwas dazu sagen ("hetisch mol besser zuder gluegt"). "Du bisch nöd relevant", nervt sich Pedro Lenz. 

Monica Fahmy ist schockiert über einige Meinungen der Leser. Es gäbe Kommentare, die seien weit unter der Gürtellinie, die könne man niemandem zumuten. Es erschreckt sie, wie viele Leute tatsächlich so denken, das sei nur noch menschenverachtend. Sie weiss jedoch auch nicht, ob es schlau ist, die Kommentare einfach zu löschen, also unter den Tisch zu kehren oder ob es besser wäre dieses Thema aufzugreifen. 

Bei Watson treten die Journalisten in direkten Kontakt mit den Lesern, erzählt Hansi Voigt. Es sei wichtig als Medium, direkt und vor allem schnell einzugreifen, damit diese auch merken, dass reelle Menschen hinter diesen Artikeln stecken. Das nehme oft schon ziemlich Wind aus den Segeln und das Niveau einer Diskussion werde tendenziell eher etwas gestiegen sprich anständiger. Sie können so ihre Leser ein wenig erziehen, in dem sie ihnen sagen, dass einige Kommentare nicht ok sind und gelöscht werden müssen. Er sieht es als Aufgabe jedes Onlinemediums mehr Zeit zu investieren, um direkter mit den Lesern in Kontakt zu treten. Dies sei die Zukunft und Social Media gäbe diese Art vor. 

Der Schweizer Presserat hat 2011 entschieden, dass anonyme Online-Kommentare nicht mehr erlaubt sind. Trotzdem passiert das immer noch. Peter Röthlisberger argumentiert damit, dass zum Beispiel auf Facebook ein Profil erstellt werden kann unter einem Pseudonym, da hätten sie keinen Einfluss darauf, dass Kommentare nur noch mit richtigem Namen verfasst werden können. Die anderen Teilnehmer sind sich alle einig, dass dies sich unbedingt ändern muss. 

Ich bin auch der Meinung, dass solche Kommentarfunktionen nur noch genutzt werden sollen, wenn man sich mit richtigem Namen und Adresse registriert. Dies soll auch überprüft werden. Rassistische, homophobe, sexistische Kommentare sollten ausserdem strafrechtlich nachverfolgt werden. Das Strafgesetzbuch (StGb Art. 261) verbietet Diskriminierung und dies sollte keinen Halt machen vor dem Internet. Mich schockiert es immer wieder, was für unglaublich fremdenfeindliche Menschen es gibt und Medien sollten denen nicht noch eine Plattform dafür bieten.
Trotzdem bin ich der Meinung, dass auch kritische Meinungen publiziert werden sollen, da dies die Meinung der Gesellschaft widerspiegelt und ein Journalist zwischen seiner persönlichen Einstellung und dem öffentlichen Interessen differenzieren muss. 

Es würde mich sehr interessieren, was ihr davon haltet. Schreibt mir doch einen Kommentar (ha,ha,ha), damit wir darüber diskutieren können! Habt ihr den Club auch gesehen? Findet ihr, dass es weiterhin die Möglichkeit geben soll, dass man anonym kommentieren kann? 

4 Kommentare:

  1. Ja, ich teile Ihre Meinung. Wer kommentieren will, soll zumindest der Redaktion, resp. der Plattformbetreibern bekannt sein und so etwas wie einen Conduct of Content analog zu den AGB's unterzeichnet haben.

    Gewissensfrage: Warum hat hier niemand kommentiert und mitdiskutiert? Was haben Sie unternommen um Leute auf diesen Post zu lotsen?

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Jeder User möchte irgendwo in seinem Leben ernst genommen werden mit seiner Meinung. Im Schutz einer gefühlten Anonymität und mit der erhöhten Wahrscheinlichkeit, dass ihm jemand zustimmt, steigt für jeden der Reiz, sich mitzuteilen, und die Hemmschwelle sinkt.

      Gleichzeitig beginnen die Onlinemedien zu begreifen, dass eine lebhafte Leserdiskussion die billigste Möglichkeit ist, um die Reichweite der eigenen Artikel ins Unendliche zu steigern.

      So treffen aufmerksamkeitshungrige User auf reichweitenhungrige Onlineredakteure, die genau wissen, wie man eine Diskussion provoziert: Entweder die Meldung inklusive Bild schockt schon genug, man pickt sich ein provokatives Zitat heraus oder man macht einen der berühmten Berichte mit Fragezeichen im Titel (à la "Darf er das?"). Im letzteren Fall gibt der Inhalt des Artikels selten eine Antwort auf das Gefragte, aber die Frage-Headline wird von den Usern als Frage nach der eigenen Meinung interpretiert, sobald ein erhöhtes Bedürfnis besteht, sich der Welt mitzuteilen.

      Jeder Klick, jeder Like, jeder Kommentar erhöht ohne Zusatzinvestition den Traffic für die Verlagshäuser und Internetplattformen.

      Die Diskussion an sich interessiert in erster Linie niemanden, ausser denjenigen, die sich daran beteiligen. Wenn man die Kommentarspalte mit einem Schlachtfeld vergleicht, sind die Artikelmacher die Waffenliefaranten. Sie verdienen letztlich am Kampf, also an der Diskussion. Wer gewinnt ist egal. Und mit guten Schlagzeilen können beide Seiten der Schwarz-Weiss-Diskussionen beliefert werden. Hinzu kommt: Je anonymer die Kommentarfunktion ist, desto eher wird gekämpft. AGBs und Codes of Conduct dienen folglich primär dem Ziel, selbst fein raus zu sein und seinen Ruf als seriöses Medium zu wahren - egal wie unseriös die Schlagzeilen, Berichte und Vorgehensweisen dann sind.

      "Stell dir eine Schlagzeile als schreiende Frau vor, die mit aufgeschlitzter Kehle die Strasse herunterläuft", heisst es im Film Nightcrawler. Online gewinnt diejenige Frau, die am lautesten schreit, und einem gleichzeitig das Gefühl gibt, sie hätte einen um die Meinung zu ihrem Schicksal gefragt.

      ---
      Dieser Kommentar ist im Wesentlichen keine Antwort auf den Kommentar von Herrn Bucher, soll aber demonstrieren, dass beantwortete Kommentare eine eigene Anziehungskraft entwickeln, weil die Fronten dann meistens schon geklärt sind, und man sich in ein noch besser abgestecktes Terrain begeben kann mit seiner Meinung.

      A: Sicher darf er das!
      B: Sicher nicht!

      Vielleicht hilft's der Blog-Erstellerin ja zusätzlich bei der Wahrheitsfindung :)

      Grüsse
      Yannick N. - nein - Y. Ngarambe


      Löschen
  2. Ich habe nicht kommentiert, da mir die face-to-face Diskussion sinnvoller erscheinen. Inkl. Feedback, Austausch und ganz bestimmt zu jedem Thema neuen Inputs.

    AntwortenLöschen
  3. In dieser Diskussion halte ich es wie Pedro Lenz und frage mich: Warum hat eigentlich jeder das Gefühl, seine Befindlichkeit sei relevant? Barbara Lanz

    AntwortenLöschen